Selim Özdogan: Zwischen zwei Träumen

Selim Özdogan: Zwischen zwei Träumen. Bergisch Gladbach 2009, editionLübbe (Bastei Lübbe), ISBN 3-7857-1624-9, Hardcover mit billiger Leimbindung, Schutzumschlag und Lesebändchen 12,7 cm x 20,4 cm, 448 Seiten, 18,95 Euro

Selim Özdogan: Zwischen zwei Träumen

Ich-Erzähler Nesta lebt in der Nähe von drei Hochhäusern, die einen sozialen Brennpunkt darstellen. Sein bester Freund Sal wohnt genau dort und bringt ihn als Kleindealer schon früh mit vielen Drogen in Kontakt. Darunter sind auch Tropfen, die, per Pipette in den Augenwinkel eingebracht, den Konsumenten in den aufgezeichneten Traum eines Träumers entführen. Träume, Drogen, Partys und Musik bestimmen fortan Nestas Leben, der sich eher treiben läßt als gezielt auf etwas hinzuarbeiten. Er möchte Träumer werden, doch dafür kann man nicht lernen oder üben, trotzdem schreibt er akribisch seine Träume auf. Sal wird einer der erfolgreichsten DJs, seine Freundin Tedeisha, die er bei einem Vorträumen kennenlernt, wird professionelle Träumerin, nur Nesta bleibt erfolglos in einem der drei Hochhäuser zurück, kommt mit seinen Liebes-, Neid- und Versagensgefühlen nicht klar und flüchtet sich mehr und mehr in die Traumtropfen. Er findet schließlich mit Elia einen Freund, der seine Launen gutmütig erträgt. In diese leidzerfressene Idylle bricht schließlich die Nachricht ein, daß Tedeisha zusammen mit einigen tausend anderen Opfern in einen nicht endenden Traum gefangen ist. Nesta will Tedeisha unbedingt betreien, und Elia erweist sich als unschätzbare Hilfe, da er die verborgene Tür ins Traumreich sehen kann...

Aus einem Nahzukunfts-SF-Szenario mit latenten Möglichkeiten zur Gesellschaftskritik, dessen einzig wahrnehmbare Neuerung die Traumtropfen sind, entwickelt sich sehr langsam etwas anderes mit hohem Schwurbelfaktor. Es handelt sich dabei meiner Meinung nach weder um SF, da noch nicht einmal ansatzweise versucht wird, die Traumwelt rational zu erklären, noch um Fantasy, da die Traumwelt überhaupt nichts magisches an sich hat. Ich sortiere dieses Buch daher als allgemeine Phantastik ein.

Die Handlung des Buches entwickelt sich nur sehr langsam, hier wären kräftige Kürzungen wünschenswert und ohne Verlust möglich gewesen. Der Autor bringt viele interessante Ideen auf, beispielsweise soziale Brennpunkte, Perspektivlosigkeit der Jugend, Auswirkungen des Drogenkonsums und als Hauptthema Träume und die Flucht in selbige, nutzt diese jedoch weder für eine Stellungnahme noch für eine detailliertere Auseinandersetzung mit dem Thema. Stattdessen plätschert das Buch gemütlich bis langweilige an all diesen eigentlich interessanten Themen vorbei - sehr schade.

Die Sprache ist gut lesbar, für meinen Geschmack aber zu einfach und langweilig gehalten. Zum Ende des zweiten Teils gibt es immerhin einige fast poetisch anmutende Idylleszenen. Die Lesbarkeit des Buches leidet außerdem unter einer typographischen Verirrung, wörtliche Rede wird nicht, wie seit langem erfolgreich üblich, durch Anführungszeichen eingeschlossen, sondern durch Aufzählungsstriche eingeleitet, was es schwierig macht, die in die wörtliche Rede eingeschlossenen Satzteile oder die unmittelbar anschließenden Teile der Erzählung zu erkennen. Meiner Meinung nach ist dies ein fehlgeschlagenes Experiment, das sich gegen den Leser wendet.

Ich-Erzähler Nesta wird ausführlich charakterisiert, leider ist er ein äußerst unentschlossener und ebenso ichbezogener Charakter, der sich lieber innerlich jammernd durchs Leben treiben laßt als daß er mal Eigeninitiative zeigt. Da ihm ein Antagonist fehlt, der etwas Schwung in die Sache bringen könnte (Sal und Tedeisha sind abwesend, Elia läßt sich ebenfalls treiben, und die Bösewichte lassen sich kaum blicken), ist er als Hauptprotagonist der Handlungsentwicklung nicht gerade dienlich. Die wenigen weiteren Handlungspersonen bleiben flach und werden nicht entwickelt.

Fazit: Ein langsam dahinplätscherndes Buch mit unentschlossenem Hauptdarsteller, das die in Handlung und Hintergrund steckenden Erzählmöglichkeiten konsequent ignoriert. Nur für Liebhaber melancholisch-langweiliger Literatur geeignet.

Hinweis: Das Buch wurde für den Deutschen Science Fiction Preis 2010 nominiert.


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Erstellt am So, den 18.07.2010 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am So, den 18.07.2010 um 19:51.